Seitenpfad:

Rechtspsychologie

Am 18. und 19. Januar 2008 wird Prof. Dr. Dietmar Heubrock vom Rechtspsychologischen Institut der Universität Bremen im Rahmen eines von Studierenden der Universität Bremen entwickelten wissenschaftlichen Forschungsprojektes mit experimentalpsychologischem Schwerpunkt jeweils zwei Vorträge zu dem folgenden Thema halten:

"Neue Formen der Internetkriminalität: Gefahren von ProAna und Suizid-Foren"

Der anonyme Austausch mit anderen im Internet ("Chatten") gehört heute zu den häufigsten Freizeitbeschäftigungen von Kindern und Jugendlichen. Bei einer Umfrage gaben 43% der befragten Kinder und Jugendlichen an, regelmäßig von dieser neuen Form der Freizeitbeschäftigung Gebrauch zu machen. In jüngerer Zeit sind aber auch die potenziellen Gefahren deutlich geworden. Beate Schöning vom Verein NetKids warnt eindringlich: "Wer sich an Kindern vergreifen will, nutzt heute in 97 Prozent aller Fälle das Internet, um sich Jungen und Mädchen zu nähern". Gefahren im Internet drohen Kindern und Jugendlichen aber nicht nur durch pädophile Täter. Weniger bekannt und in ihren möglicherweise kriminellen Absichten schwerer durchschaubare Internet-Foren sind die ProAna-Bewegung, die sich gezielt an magersüchtige Mädchen und junge Frauen richtet, und so genannte Suizid-Foren, die in Einzelfällen bereits durch den Verkauf von tödlichen Medikamenten aus Gewinnsucht auffällig geworden sind. Der Vortrag beruht auf eigenen Recherchen des Instituts für Rechtspsychologie der Universität Bremen und soll auf die neuen Herausforderungen aufmerksam machen.
Die Recherchen zu ProAna-Foren weisen nach, dass es in dieser Bewegung nicht in erster Linie um Selbsthilfe geht, sondern dass leicht auch die Grauzone zu kriminellen Handlungen erreicht werden kann.
Die Ausführungen zu Suizid-Foren zeigen auf, dass diese auch in Deutschland ? in einem Fall mit mehrfacher Todesfolge - missbraucht worden sind, um illegale Substanzen zu verkaufen. Gleichzeitig spielen Suizidforen bei der Prävention von schulbezogenen Amoktaten eine Rolle, weil mehrere spätere Amoktäter in diesen Foren zuvor auf ihre seelische Notlage aufmerksam gemacht hatten, aber nicht ernstgenommen worden waren.

"Amoktaten an Schulen: Erklärungs- und Präventionsansätze"

Schwere von Schülern verübte Gewalttaten an Schulen haben nicht nur in den USA, sondern spätestens seit den so genannten ?Amokläufen? von Erfurt und Emsdetten auch hierzulande die Öffentlichkeit alarmiert. Eindeutige Hinweise von den Jugendlichen selbst oder aber aus ihrem unmittelbaren Umfeld sind erforderlich, um potentiell gefährliche Personen mit Zugang zu Waffen frühzeitig identifizieren zu können. Mehrere Untersuchungen konnten zeigen, dass bei Amokläufen und auch im Zusammenhang mit anderen zielgerichteten Gewalttaten in einer Mehrzahl der Fälle spezifische Auffälligkeiten vor der Tat zu verzeichnen waren. Die Jugendlichen oder heranwachsenden Täter hatten in allen Fällen ihre Absicht direkt oder verschlüsselt mitgeteilt, in der Mehrzahl der Fälle an Mitschüler oder über das Internet.
Hinsichtlich des psychosozialen Persönlichkeitsprofils fällt auf, dass alle Täter

- sich durch Eltern, Lehrer oder Mitschüler benachteiligt, zurück
gesetzt, ungerecht behandelt oder verlassen gefühlt,
- wenig oder keine Kontakte zu Gleichaltrigen und
- mehrfach Suizidgedanken geäußert und/oder suizidale Handlungen
begangen hatten sowie
- als ständig (latent) wütend und durch
- den Konsum Gewalt verherrlichender Medien aufgefallen waren.

Trotz ihres seltenen Vorkommens weisen Amokläufe an Schulen bestimmte Gemeinsamkeiten auf: die Täter gehen kontrolliert und überlegt vor; ihre Taten wurden über einen längeren Zeitraum geplant und vorbereitet. Es gibt Ähnlichkeiten in der Phase der Tatvorbereitung und im Tatablauf sowie hinsichtlich der Persönlichkeitsstruktur. Diese verweisen auf ein komplexes Geschehen, bei dem risikoerhöhende Faktoren wie frustrierende Lebensereignisse und aktuelle Belastungssituation, bestimmte Persönlichkeitsstrukturen, spezifische, sich verfestigende Attributionsmuster sowie der soziale Rückzug verbunden mit dem gleichzeitigern Aufbau einer selbstverstärkenden Fantasiewelt eine besondere Bedeutung haben. Vor allem diese Flucht in eine Fantasiewelt, in der in kompensatorischer Weise Macht, Kontrolle und Rache ausgeübt werden kann, erhöht in Verbindung mit dem Konsum Gewalt verherrlichender Medien und dem Interesse für Waffen die Wahrscheinlichkeit für die Durchführung von "school shootings".
Dass die Einschätzung angekündigter Gewalttaten durch Mitschüler, Familienmitglieder und Lehrer das eigentliche Problem darstellt, verdeutlichen Berichte, denen zufolge unmittelbar und konkret angekündigte Tötungshandlungen in Schulen oft nicht ernst genommen wurden. Der Vortrag soll dazu beitragen, die Möglichkeiten der frühzeitigen Prävention drohender Schulgewalttaten zu verbessern.

Rechtspsychologie